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Chatroom – Selbsthilfe erleben

3 Personen sitzen im Pavillon welches aussieht wie ein Wohnzimmer

EV-Fotos Loges

„Chatroom“ ist vor allem bekannt als ein Begriff aus der virtuellen Welt im Internet: Menschen treffen und unterhalten sich in Chatrooms, um sich ähnlich wie in einer „analogen“ Selbsthilfegruppe über ihre Erfahrungen mit einem Thema auszutauschen – im Unterschied zu einem Forum findet die Kommunikation zeitsynchron statt. „Ein Chat funktioniert nur dann, wenn andere Menschen mit im Raum sind und sich am Gespräch beteiligen.“
In den meisten Chatrooms gibt es Regeln, die den Umgang miteinander klären. Viele große Selbsthilfevereinigungen haben für Betroffene inzwischen solche virtuellen Angebote geschaffen. Fast immer gibt es ein/e Moderator/-in, die/der den „roten (Gesprächs) -faden in der Hand hält.
Mit diesem Konzept übertragen wir den virtuellen Chatroom in die analoge Welt und erreichen so neue Zielgruppen. Die „textbasierte Kommunikation“ zu gemeinsamen Themen wird zur direkten Kommunikation von Angesicht zu Angesicht.

Ausgangslage
Der Kreis Steinfurt ist ein großer ländlich geprägter Flächenkreis mit insgesamt 24 Gemeinden (ca. 445.000 Einwohner/-innen). Die Selbsthilfe-Kontaktstelle liegt relativ zentral in Emsdetten. Allerdings stellen wir immer wieder fest, dass es eine Herausforderung ist, Menschen in den anderen Gemeinden zu erreichen.
Das 20-jährige Bestehen unserer Einrichtung haben wir zum Anlass genommen, Selbsthilfe noch stärker ins öffentliche Bewusstsein zu rücken – dazu sollte unter anderem auch das Projekt „Chatroom – Selbsthilfe erleben“ beitragen.
Als Selbsthilfe-Kontaktstelle sind wir im Rahmen unserer Öffentlichkeitsarbeit immer wieder in der Situation, Außenstehenden zu erklären, was Selbsthilfe ist. Einerseits erklären wir dann an Beispielen, wie Selbsthilfegruppen funktionieren, andererseits möchten wir gerne Selbsthilfe auch erlebbar machen. Was Menschen selbst erleben, kann eine tiefere Wirkung entfalten und versetzt sie in die Lage, für sich besser entscheiden zu können, ob sie zu einem für sie relevanten Thema eine Selbsthilfegruppe besuchen oder gründen wollen.
Wir haben außerdem festgestellt, dass es eine Herausforderung ist, bestimmte Zielgruppen zu erreichen – (nicht nur) junge Menschen haben viele Vorurteile gegenüber dem Begriff „Selbsthilfegruppe“ und verbinden damit Vorstellungen, die es erschweren, selbst Erfahrungen mit Selbsthilfe zu sammeln


Projektziele
Im Rahmen eines von der BKK mobil oil geförderten Projekts „Chatroom - Selbsthilfe erleben“ wollten wir die Idee der Übertragung eines virtuellen Chatrooms in die analoge Welt als Methode weiterentwickeln. Wir wollten herausfinden, ob diese Methode dazu geeignet ist, Selbsthilfe auf niedrigschwellige Art und Weise erlebbar zu machen. Dabei sollten insbesondere Menschen angesprochen werden, die bisher nichts mit Selbsthilfe zu tun hatten.
Mit dem Projekt „Chatroom – Selbsthilfe erleben“ wollten wir außerdem eine ansprechende und neue Form der Öffentlichkeitsarbeit schaffen. Der Chatroom als grafisch gestaltetes 4x4 Meter großes Zelt sollte Menschen ermöglichen, in Selbsthilfe hinein zu schnuppern und sie auf Selbsthilfegruppen neugierig machen.
Bereits aktive Selbsthilfegruppen sollten sich mit ihren Themen in die einzelnen Veranstaltungen einbringen und zu gruppenübergreifenden Fragestellungen miteinander ins Gespräch kommen und sich so weiter vernetzen. Sie sollten außerdem auf diese Art Kontakt zu Interessierten bekommen, die bisher wenig oder keine Berührung mit Selbsthilfe hatten und so Vorurteile oder Vorbehalte gegenüber Selbsthilfegruppen abbauen.


Umsetzung
Ein Pavillon (4x4 Meter), dient als „Chatroom“. Er bietet ca. acht Sitzgelegenheiten, die im Kreis um einen Tisch stehen. Zwei Wände sind mit Bildern, einem Fenster, Pflanzen und Möbeln gestaltet, so dass man ein räumliches Gefühl bekommt.

Thema
Es gibt zum einen feste Themen (z.B. „Selbsthilfe – was bringt mir das?“, „Diagnose chronisch krank – und jetzt?“ oder „Hilfe, mein Arzt versteht mich nicht!“), an denen sich jede Selbsthilfegruppe, aber auch jede/r Interessierte beteiligen kann. Diese Themen können durch eine/n Moderator/-in begleitet werden.
Alternativ können Selbsthilfegruppen auch Gastgeber sein und selbst ein interessantes Thema anbieten.
Im Rahmen von Öffentlichkeitsarbeit werden die Themen und Uhrzeiten im Vorfeld bekannt gemacht. Die Themen sollten für Außenstehende interessant sein und Berührungspunkte bieten, so dass Menschen im Chatroom zusammenkommen, die einen persönlichen Zugang finden können. Bei großem Interesse kann es einen Innen- und einen Außenkreis geben – im Innenkreis sitzen diejenigen, die miteinander ins Gespräch gehen. Im Außenkreis sitzen oder stehen diejenigen, die erst einmal nur zuhören wollen. Ein freier Stuhl kann im Innenkreis stehen, auf den sich diejenigen aus dem Außenkreis setzen, die etwas zum Thema beitragen möchten. Auch das gibt es in virtuellen Chatrooms: Manche lesen nur mit, andere beteiligen sich aktiv am Gespräch. Auch diejenigen, die nur zuhören bzw. mitlesen profitieren davon. Sie müssen sich aber nicht zu erkennen geben.

Zeitraum

Es gibt einen klaren Anfang und ein klares Ende. Das Zeitfenster wird im Vorfeld angekündigt (zum Beispiel von 15-16 Uhr). Menschen können wie im virtuellen Chatroom kommen und gehen (ähnlich wie beim Open Space gibt es dann die Regel, dass man gehen kann, wenn ein Thema für einen zu Ende ist). Außerdem trauen sich Menschen eher, erst einmal zu bleiben, wenn sie sich nicht direkt für einen längeren Zeitraum festlegen müssen.
Wichtig ist allerdings, dass die Themenpaten und Moderator/-innen konstant dabei bleiben, so dass ein zusammenhängendes Gespräch stattfinden, Neue begrüßt und ins Gespräch einbezogen werden können.

Chatiquette
Um deutlich zu machen, dass sich Selbsthilfegruppen von anderen Gesprächs- oder Diskussionsrunden unterscheiden, ist es sinnvoll, ein paar Regeln einzuführen. Auch in virtuellen Chatrooms gibt es „Nutzungsbedingungen“ oder eine „Chatiquette“, die den Umgang miteinander regelt.
Wenn die Besprechung der Regeln zu viel Raum einnimmt, geht unter Umständen die Niedrigschwelligkeit verloren. Die Regeln werden an die Wand gehängt oder/und den Teilnehmer/-innen am Eingang in die Hand gegeben oder draußen ausgehängt („wenn Sie den Chatroom betreten, sind Sie damit einverstanden, dass…“)
Es sollten nicht zu viele Regeln und sie sollten weitgehend selbst erklärend sein.

Projekterfahrungen
Ein stabiler wetterfester Pavillon (4x4 Meter) diente als „Chatroom“. Zwei Seitenwände wurden grafisch mit Fenstern, Möbeln und Bildern an der Wand gestaltet, so dass der entstandene Raum einladend wirkt. An einer Wand wurden einige Gruppenregeln – die „Chatiquette“ – vorgestellt. Im Pavillon konnten Sitzgelegenheiten für 8-10 Personen aufgebaut werden. Mit Sitzwürfeln konnte diese Runde entsprechend vergrößert oder auch verkleinert werden.
Mit dem ersten Probeauf- und Abbau des Pavillons wurde klar, dass es mindestens drei Personen braucht, um den Auf- und Abbau gut bewältigen zu können. Das hat den Personalbedarf für die einzelnen Stationen deutlich verändert, da sowohl zu Beginn als auch am Ende ausreichend Mitarbeiter/-innen vor Ort sein mussten.
Vor dem Pavillon haben wir einen kleinen Stand mit Infomaterialien sowie einen „Kundenstopper“ mit Chatroom-Plakaten aufgebaut, die auf die Uhrzeiten und Themen im Chat hinwiesen. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass die Präsenz und Ansprache vor dem Pavillon ein wichtiger Faktor ist, um Passanten zu ermutigen, den Chatroom zu betreten. Diejenigen, die daran kein Interesse hatten oder denen dazu der Mut fehlte, konnten sich so trotzdem über Selbsthilfe informieren.
Der Pavillon kann in Zukunft auch unabhängig vom Chatroom-Projekt für die Öffentlichkeitsarbeit genutzt werden – als Stand auf Messen, Märkten usw., in dem Materialien und Flyer ausgelegt werden und in dem Gespräche stattfinden können.
Wie schon im Projekt „Junge Selbsthilfe im ländlichen Raum“ wurde ein eigenes Logo entwickelt, das sich auf allen Materialien wie z.B. im Pavillon, Sitzwürfel, Postkarten wiederfand. Durch den Wiedererkennungswert und das Corporate Design der beiden Logos „HörBar“ und „Chatroom“ wird deutlich, dass es sich zwar um unterschiedliche Materialien und Methoden handelt, dass aber beide aufeinander aufbauen können und auch gemeinsam nutzbar sind. So wurde die HörBar zum Beispiel auch in einer Ecke des Chatrooms aufgebaut. Insgesamt wurden in Kooperation mit den jeweiligen Selbsthilfegruppen vor Ort drei Veranstaltungen an verschiedenen Orten im Kreis Steinfurt durchgeführt.
Alle Veranstaltungen wurden durch eine Journalistin intensiv begleitet, so dass im Vorfeld und im Nachgang zu den einzelnen Terminen jeweils ein größerer Zeitungsartikel veröffentlicht werden konnte. Das Projekt und in diesem Zusammenhang auch das Jubiläum der Selbsthilfe-Kontaktstelle waren dadurch über den gesamten Projektzeitraum sehr präsent in der Öffentlichkeit. Neben der Pressearbeit konnten wir auch im Radio einen Beitrag platzieren: http://netzwerkselbsthilfeundehrenamt.de/progs/sh/shks/steinfurt/content/e2528/e2593/e2596/e2613/e2615/GMChatroom.mp3
Gerade im Bereich Öffentlichkeitsarbeit haben wir die Erfahrung gemacht, dass die Medien neugierig auf das Thema waren und wir so Aufmerksamkeit und Interesse für Selbsthilfe wecken konnten (s. Zeitungsartikel).
Bei der Wahl eines Chatroom-Themas musste bedacht werden, dass es ein Thema sein sollte, das viele kennen, das aber auch bewegt, um die Wirkung von Selbsthilfe erfahrbar zu machen und bei dem es nicht den einen richtigen Weg gibt, sondern viele unterschiedliche Erfahrungen.
Anders als ursprünglich angedacht, haben wir bei allen Veranstaltungen zu den drei gleichen Themen eingeladen. Diese Themen haben wir im Vorfeld gemeinsam mit den Selbsthilfegruppen im Rahmen eines Gesamttreffens erarbeitet. Die Gruppen hatten zwar für jede der drei Veranstaltungen die Möglichkeit, darüber hinaus eigene Themen anzubieten, aber die Hemmschwelle, die Patenschaft für ein eigenes Thema zu übernehmen war wohl doch zu hoch.
Zusätzlich haben wir für interessierte Selbsthilfegruppen zur intensiveren Beschäftigung mit der Chatroom-Idee im Vorfeld zu den Veranstaltungen einen Workshop angeboten. Die Gruppen sollten so die Möglichkeit bekommen, sich ein Bild zu machen, gemeinsame Vor-überlegungen zu treffen und so für sich über eine Mitwirkung besser entscheiden zu können. So haben wir in diesem Rahmen auch die „Chatiquette“ entwickelt, über mögliche Themen gesprochen und einen Chat ausprobiert.

Bei allen Veranstaltungsorten war es besonders wichtig, dass zu jeder Zeit einige Selbsthilfegruppen vor Ort waren, die sich im Chatroom zum jeweiligen Thema ausgetauscht haben. Die Hemmschwelle für Außenstehende wäre ungleich höher gewesen, wenn sie in einen Raum gekommen wären, in dem sich niemand unterhält und alle nur auf sie gewartet haben. So konnten sie sich einfach ins Gespräch einklinken oder erst einmal nur zuhören.
Es gab bei allen Chats einen klaren Anfang mit einer Begrüßung der anwesenden Teilneh-mer/-innen und ein paar erklärenden Worten zum Chatroom und zur „Chatiquette“. Genauso wichtig war ein klares Ende nach 60 Minuten. Menschen konnten wie im virtuellen Chatroom kommen und gehen, wenn ein Thema für sie zu Ende war. Interessant zu beobachten war allerdings, dass die meisten über den gesamten Zeitraum von einer Stunde geblieben sind und sich in manchen Fällen auch gerne noch länger ausgetauscht hätten.
Wichtig war allerdings, dass die Moderatorinnen oder einige Mitglieder aus Selbsthilfegruppen konstant dabei bleiben, so dass ein zusammenhängendes Gespräch stattfinden konnte und der rote Faden nicht verloren ging. Einige Chats wurden durch unsere ehrenamtlichen In-Gang-Setzerinnen moderiert. Die In-Gang-Setzerinnen waren dafür sehr gut geeignet, da sie darin geübt sind, fremde Menschen miteinander ins Gespräch zu bringen.

Résumée
Insgesamt sind wir mit dem Projekt sehr zufrieden: Wir konnten gemeinsam mit den Selbsthilfegruppen eine neue Methode und neue Materialien erproben, wir haben es geschafft, das Thema Selbsthilfe während des gesamten Projektzeitraums noch mehr ins öffentliche Bewusstsein zu rücken und es ist uns gelungen, unterschiedliche Akteure weiter miteinander zu vernetzen.
Die Methode ist dazu geeignet, auf sehr niedrigschwellige Art und Weise Selbsthilfe erlebbar zu machen.
Die größte Herausforderung waren die geringen zeitlichen Ressourcen, die uns zur Verfügung standen: Wir haben alles, bis auf die Öffentlichkeitsarbeit, aus den vorhandenen Personalressourcen geschöpft. Wir würden hier bei einem nächsten Mal zusätzliche Personal- oder Honorarstunden einplanen.
Aufgrund der Größe des Pavillons war es erforderlich, den Auf- und Abbau mit 2-3 Personen zu organisieren – außerdem kann der Pavillon aufgrund seiner Größe nur in einem Bulli transportiert werden, so dass auch hier zusätzliche Ressourcen eingeplant werden müssten. Wir würden trotzdem wieder eine ähnliche Größe wählen, da der Platz ansonsten zu eng wäre und der Raum weniger wirkt.
Wir haben festgestellt, dass es nicht so einfach war, die Selbsthilfegruppen für unsere Idee zu gewinnen. Vor allem der Begriff „Chatroom“ war für einige Gruppen eher schwierig. Wir haben den Begriff dennoch beibehalten, da für uns gerade dieser Moment des Widerspruchs zwischen der Herkunft und der Bekanntheit aus der virtuellen Welt und der Anwendung der Methode in der analogen Welt spannend schien und Menschen neugierig machen sollte.
Es gäbe bestimmt noch einiges, was man in diesem Kontext noch ausprobieren könnte:
• Weitere/andere Orte wie z.B. Schulhof, Campus oder …
• Ansprache weitere Zielgruppen wie z.B. junge Menschen (auch im Rahmen von Multiplikatorenschulungen).
• Mehrere Chatrooms parallel anbieten, so dass man ähnlich wie bei einem Open Space den Raum wechseln kann
usw.

Fragen?
Alle, die sich für das Projekt interessieren oder gerne bei sich vor Ort ausprobieren möchten, können sich gerne mit uns in Verbindung setzen.

 

 
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